Montag, 15. September 2014

Der Pakt - Kapitel elf #Vampirroman Warnhinweis beachten!

Hallo Freunde der Nacht!
Es geht weiter in der Welt Zwischen Göttern und Teufeln, in der sexy Vampire noch Menschenblut trinken und die Menschen nicht unschuldige Opfer sind, sondern auch hart zurückschlagen können.  
Warnung: Vorsicht bei diesem Kapitel!  Die Reihe `Zwischen Göttern und Teufel´ ist kein Jugendbuch.

Viel Spaß und ein dunkles Lesevergnügen. Eure Laya Talis
Bitte beachten: 
Kopieren und weiterverbreiten des Textes ist nicht gestattet! Danke für euer Verständnis.
Wer es nicht abwarten kann oder mich unterstützen möchte: Das komplette Taschenbuch gibt es hier bei Amazon: Amazon (Taschenbuch)  Und das E-Book ebenso hier: Amazon E-Book und auf allen anderen gängigen E-Book-Plattformen. 


Bild-Quelle: Shutterstock


Kapitel elf

Jessica
Früher Nachmittag, des nächsten Tages
Ausgepowert lag Jessica mit ihren restlichen zweiundzwanzig Wächtern auf dem kalten, harten Linoleumboden ihrer Übungshalle. Der große, hohe Raum ähnelte einer Schulturnhalle, doch abgesehen von einigen dicken, blauen Matten, die an der Wand lehnten, gab es hier keine typischen Sportgeräte. Es sei denn, man wollte das Waffenarsenal an den Wänden – Wurfmesser, Wurfsterne, Nunchaku, eine Reihe von Pistolen und leichte Schwerter – dazuzählen.

Zweiundzwanzig Wächter … Sie hatten einen verloren. Einer der ihren. Durch Jonathan. Jessica runzelte bei dem Gedanken daran die Stirn und ihr Hass auf die verfluchten Parasiten wuchs noch mehr an. Sofern das überhaupt möglich war.
Sie wischte sich mit der Hand übers Gesicht, da Schweißperlen sie kitzelten und setzte sich auf. Verdammt, hatte sie einen Durst. Die Plastikflasche mit Wasser knisterte, als sie das Getränk in einem Zug zur Hälfte leerte. Sie und ihre Wächter hatten alle Blessuren in ihren wöchentlichen Übungskämpfen davon getragen und leckten nun gemeinsam ihre Wunden.
„Mann, ich glaube du hast mir eine Rippe gebrochen, Jessie. Du sollst mich unterrichten und nicht verprügeln. Hätte ich gewusst, dass du so fest zuschlagen würdest, hätte ich anders reagiert“, klagte eine dunkelhaarige, zierliche Frau. Sie war die jüngste von Jessicas Wächtern und erst seit einem halben Jahr in New York. Die kleine Japanerin Nanami, die von ihren Wächterkameraden nur Ami genannt wurde, hob ihr durchgeschwitztes, grünes T-Shirt hoch und betastete mit schmerzverzerrtem Gesicht ihren Rippenbogen, der sich langsam bläulich färbte. Ami war direkt vom Ausbildungslager der Organisation in Sibirien nach New York versetzt worden und noch hatte Jessica sie auf keinem Einsatz geschickt.

„Das ist nur eine Prellung. Wäre ich ein Blutsauger gewesen, hätte ich mit meiner Hand durch deine Rippen gegriffen und dir dein Herz heraus gerissen, Ami. Ich trainiere dich, um dich auf den Kampf da draußen vorzubereiten. Würde ich dich streicheln, hätte es keinen Lernerfolg und lernen musst du noch eine Menge. Du begehst immer die gleichen Fehler!“, belehrte Jessica sie unwirsch, da sie sich über Amis Vorwurf ärgerte. Was sollte das? Sie waren Wächter, Soldaten Gottes, keine Püppchen!
Ami setzte sich auf und schob trotzig ihre Unterlippe vor. Sie hatte von Beginn an nie gut mit Jessicas Kritik umgehen können und nahm Ratschläge nur selten an. Jessica fragte sich, ob Ami grundsätzlich unwillig war zu lernen, oder ob sie ein persönliches Problem mit ihr als Ausbilderin hatte.

„Ach ja? Welche Fehler sind das denn?“
Die anderen Wächter hatten sich unterhalten, doch Amis herausfordernder und unangemessener Ton ließ sie verstummen.
Jessica trank noch einen Schluck Wasser, ohne den Blick von Ami zu nehmen. Ami hatte braune Augen und wenn sie nicht gerade bockte, so wie jetzt, konnte sie einen damit ansehen, als wäre sie ein unschuldiger Engel. Sie war eine sehr schlanke und mittelgroße Frau, der man weder ansah noch zutraute, so tödlich zu sein, wie sie war. Auch wenn Jessica sie noch nicht dafür bereit hielt gegen Blutgeier zu kämpfen, war Ami eine hervorragend ausgebildete Kämpferin, die keine Probleme hätte, sich mit einer Horde menschlicher Krieger zu messen. Doch ihre Feinde waren nicht zu vergleichen mit Menschen. Sie waren schneller, stärker und schwerer zu töten. Es reichte nicht aus, ein guter Soldat zu sein, sie mussten die besten sein, Wächter! oder sie würden sterben. Blutsauger machten keine Gefangenen, es gab keine zweite Chance. Versagen bedeutete den Tod.

Jessica berührte die Narben an ihrem Hals. Normalerweise bekam man keine zweite Chance. Jessica hatte sie bekommen. Nicht aus Gnade. Die Vampire, die ihr diese Bissspuren beigebracht hatten, hatten kein Erbarmen gezeigt. Ihre damals beste Freundin hatte ihr das Leben gerettet und den verfluchten Blutsaugern, die Jessica gerade töten wollten, mit einem Schwert den Kopf von den Schultern geschlagen.

Anna … Anna hatte sie gerettet. Und jetzt war Anna tot. Jessica vermisste sie noch immer, obwohl sie schon vor acht Jahren gestorben war. Soviel zu: die Zeit heilt alle Wunden. Wie viele verdammte Jahre mussten noch vergehen, bis der Verlust nicht mehr schmerzte?
„Dein Fehler liegt darin, dass du ständig versuchst schneller zu sein als die Vampire, aber diesen Wettstreit kannst du nicht gewinnen. Ich habe eben den Vampir gemimt. Du hast mich angegriffen, bevor ich mich dir überhaupt genähert hatte. Du kannst auf die verfluchten Parasiten schießen, sollst es sogar, bevor sie dich erreicht haben, aber stürz dich nicht mit einer Klinge auf sie. Warte ab, bis sie dich angreifen, verwende ihre Geschwindigkeit und ihre Stärke gegen sie. Das ist deine einzige Chance. Versuchst du sie zu übertrumpfen, wirst du verlieren. Nur wird ein Kampf mit ihnen anders enden als unserer, nämlich  mit deinem Tod.“ Jessica seufzte. „Ich bin es langsam leid, dir das immer wieder zu sagen.“

Ami schnaufte und sprang auf ihre Beine. „Blödsinn. So lehrte man mich in Sibirien zu kämpfen. Ich bin kein Wächterschüler mehr, sondern eine Wächterin. Ich weiß, wie man gegen die Blutsauger kämpft, verdammt. Du hast eben nur Glück gehabt und bist eine beschissene Trainingspartnerin.“
Ami!“, zischte Mike warnend. Die anderen Wächter, es waren nur zwei weitere Frauen in ihrer Truppe, der Rest waren Männer, setzten sich auf. Sie waren sichtbar beunruhigt.
Jessica winkelte ihre Beine an und schaute verärgert zu Ami auf. „Ich brauchte kein Glück, um dir den Arsch zu versohlen. Du hast schlecht gekämpft, Wächter. Ab Morgen wirst du mit Mike trainieren. Er hat mehr Geduld als ich.“
„Ich will heute Nacht eingesetzt werden. Ich meine, ich werde heute Nacht einen Blutgeier jagen. Sag mir, mit wem ich gehen kann und wohin es geht.“
„Was?“ Jessica zog überrascht ihre Augenbrauen hoch. Erst sprach Ami in einer völlig unpassenden Weise mit ihr und dann gab sie ihr auch noch vor allen anderen eine Anweisung?

Ami stemmte die Hände in ihre Hüften und sagte im Befehlston: „Ich bin es leid zu warten. Ich bin Wächterin geworden, um zu kämpfen. Nicht, um mich beleidigen zu lassen.“
Jessica erhob sich und tippte drohend mit einem Zeigefinger gegen Amis flache Brust. „Jetzt reicht es! Ich bin dein erster Wächter. Ich entscheide, wen ich kämpfen lasse und ich werde ganz gewiss keine eingebildete Anfängerin mit einem meiner Wächter losziehen lassen. Ihr müsst euch aufeinander verlassen können, zusammen arbeiten, bei jedem Einsatz um euer verfluchtes Leben kämpfen. Du bist noch nicht so weit, sondern stellst mehr ein Hindernis dar, als eine Hilfe. Ich riskiere es nicht, einen meiner Leute zu verlieren, weil irgendwer deinen zickigen Arsch retten muss … Und jetzt geh mir aus den Augen!“
Ami drehte sich sofort um, wobei die Sohlen ihrer weißen Turnschuhe unangenehm auf dem grauen Linoleumboden quietschten. „Nur weil du Mcbright fickst, bist du der erste Wächter geworden. Glaub nicht, dass ich nicht weiß, wieso du über mir stehst.“
Wow! Das hatte gesessen.
Jessica starrte ihr entsetzt nach. Gut, das klärte zumindest ihre Frage. Amis Probleme waren eindeutig mit Jessicas Person verknüpft.
In der Halle machte sich betretenes Schweigen breit. Jessica schaute in die Gesichter ihrer anderen Wächter, die ihrem Blick auswichen. Selbst Mike sah hastig zur Seite. Dachten sie auch so von ihr?

Jessica bückte sich und hob ihr langes Kampfmesser auf. Es war extrem dünn geschliffen und so scharf, dass es selbst Knochen und Sehnen mit Leichtigkeit durchtrennte.
„Mike, ab jetzt trainierst du Ami.“
„Klar.“ Mike wischte sich die Hände an seiner grünen Stofftrainingshose ab. Er räusperte sich, bevor er weitersprach. „Soll ich- soll ich mir ihre Rippe ansehen gehen?“
„Mach, was du willst, doch zuerst gehört sie mir“, knurrte Jessica und stapfte Ami in die Umkleidekabine hinterher. „Ihr lauft noch vierzig Runden. Danach könnt ihr duschen gehen.“
Es kamen keine Widerworte und als sie durch die Tür der Turnhalle trat und den kurzen schmalen Flur entlang ging, um zur Umkleide zu gelangen, hörte sie die schweren Schritte ihrer Wächter, als sie zu joggen begannen.
Als Jessica die Umkleide betrat, war Ami nicht da. Jessica vernahm Wasserrauschen aus den angrenzenden Duschräumen. Noch immer wütend zog sie sich aus, schnappte sich ihr Handtuch und betrat die Gemeinschaftsduschen. Ami stand nackt, mit dem Rücken zu ihr, unter dem Wasserstrahl. Sie hatte das Wasser so heiß eingestellt, dass der kleine fensterlose Raum völlig mit Wasserdampf verhangen war.
Jessica stellte sich unter die Dusche direkt neben Ami in der Erwartung, dass Ami irgendetwas sagen würde, doch die ignorierte sie. Fein. Das Spiel konnte Jessica auch spielen! Das warme Wasser mochte ihre verspannten Muskeln lockern, konnte aber nicht ihre innere Verkrampfung lösen. Wortlos standen die Frauen nebeneinander. Jessica nahm sich ungefragt etwas von dem Shampoo, das neben Ami auf den weißen Fliesen stand und wusch sich damit die kurzen, blonden Haare, und den Schweiß von ihrem Körper. Ihre Wut spülte sich allerdings nicht mit dem Seifenschaum weg.

Zeitgleich stellten die beiden Frauen die Dusche aus und wickelten sich in ihre Handtücher.
Als Ami den Duschraum verlassen wollte, versperrte ihr Jessica den Weg, indem sie sich vor die Tür stellte. Genug der Spielchen. Auch wenn Jessica dieser Konfrontation gerne ausgewichen wäre, wusste sie, dass sie es nicht durfte. Ihre Autorität stand auf dem Spiel.
Ami wirkte jetzt nicht mehr so selbstsicher, wie eben in der Turnhalle, und mit ihrem nassen Haaren und nur mit einem Handtuch bedeckt, sah man ihr ihre jungen zwanzig Lebensjahre an.

Zwanzig Jahre erst.
Jessica erinnerte sich noch gut daran, wie versessen sie selbst in diesem Alter gewesen war, endlich gegen Vampire kämpfen zu dürfen und ihr Zorn schwächte etwas ab. Mit Verständnis konnte sie vielleicht mehr bewirken, als mit Strenge. „Ami. Ich weiß nicht, wo dein Problem mit mir liegt, aber-“ begann Jessica mit der Absicht sich mit ihr auszusöhnen, doch bevor sie dazu kam etwas Beschwichtigendes zu sagen, wurde sie von Ami unterbrochen.
„Das sagte ich dir doch deutlich“, zischte sie und sah zu Jessica auf. „Es ist verboten was du machst. Mcbright ist unser Boss!“
Verboten? Verdammt, Ami. Was ich tue, geht dich nichts an. Du bist meine Wächterin. Du hast nicht über mich zu urteilen.“
„Wer soll denn über dich urteilen? Mcbright? Was beurteilt er denn? Oh, Jessie, letzte Nacht warst du so gut – im Bett?“, höhnte sie und versuchte sich neben Jessica vorbei aus der Tür zu drängeln. Jessica packte Amis Schultern, um sie aufzuhalten. Die kleine Wächterin begann sich augenblicklich zu wehren, doch Jessica hatte mit Amis Reaktion gerechnet und wich ihrem vorhersehbaren Kinnhaken aus, in dem sie sich einfach darunter wegduckte.

Mit einer gleichzeitigen Ganzkörperdrehung, bei der sie ein Bein abspreizte, trat sie Ami gekonnt die Beine weg. Bevor diese begriff was geschah, hockte Jessica schon auf ihr und presste mit ihren Knien Amis Oberarme nach unten, so dass diese sich nicht mehr rühren konnte.

„Jetzt hör mir genau zu, Wächter“, sagte Jessica langsam und drohend. „Ich bin erste Wächterin geworden, weil ich die beste bin. Glaubst du wirklich, die anderen würden mich akzeptieren, wenn ich es jemals ausgenutzt hätte, dass ich mit Mr Mcbright zusammen bin? Ich habe mehr als einmal jedem von ihnen das Leben gerettet, ich habe mehr Blutgeier gekillt, als du alt bist und als jeder andere Wächter. Lerne zu kämpfen, lerne deine Wut zu kontrollieren, lerne Stolz nicht mit eingebildetem, schwachsinnigem Getue zu verwechseln und verfluchte Scheiße ...“, Jessicas gab Ami eine schallende Ohrfeige. „Wage es nicht noch einmal so mit mir zu sprechen.“

Ami drehte ihr Gesicht zur Seite und spuckte neben sich auf die Fliesen. Ihr Speichel war blutig. Jessica hatte nicht fest zugeschlagen, da sie Ami nicht den Kiefer brechen wollte, doch fest genug, dass ihre Lippen aufgeplatzt waren und bluteten.
„Und jetzt ziehst du dich an, gehst zurück in die Halle und rennst so lange im Kreis, bis du kotzt.“

Was?“ Ami starrte sie mit offenem Mund an. Ihre Lippen waren geschwollen und blutbeschmiert, so als habe sie mit einem knalligen Lippenstift experimentiert.
Jessica erhob sich und hielt ihr ihre Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Sie hörten, dass die anderen Wächter die Umkleidekabine betraten.
Ami stand schnell auf, ohne Jessicas angebotene Hand anzunehmen. Gut. Das hätte Jessica an ihrer Stelle zu diesem Zeitpunkt wohl auch nicht gemacht. Sie wickelten sich wieder in ihre Handtücher, die im Gerangel auf den nassen Boden gefallen waren. Beide Frauen waren nicht erpicht darauf, splitterfasernackt von ihren männlichen Kumpanen gesehen zu werden. Geduscht wurde getrennt. Für gewöhnlich erst die Mädels und dann die Kerle. Beim Anziehen konnte man sich halbwegs zwischen den Spindtüren verbergen. Die Umkleide war dafür groß genug.

Jessica schlug mit Wucht die Tür zur Umkleide auf und sagte auch für die anderen vernehmbar zu Ami. „Ja, du rennst jetzt in der Halle im Kreis, bis du vor Anstrengung kotzen musst. Mike wird dich überwachen. Hörst du vorher auf, Wächter, packst du deine Koffer und meldest dich bei Mr Mcbright. Ich werde ihm mitteilen, dass ich dich aus meinem Team haben will, da du dich meinem Befehl verweigert hast. Er wird dich sofort zur Zentrale schicken. Darauf kannst du Gift nehmen.“

„Was? Bist du irre? Die würden mich erschießen“, schrie Ami jetzt deutlich verängstigt. Sie drückte ihr weißes Handtuch gegen ihren blutigen Mund und ihr Blick wurde wieder wütend, als sie die rote Stelle auf dem weißen Handtuch betrachtete, die ihre Lippen hinterlassen hatten.
Jessica setzte sich auf die Holzbank vor ihrem Spind und zog sich ihre weißen Socken mit ruckartigen Bewegungen an. „Nein, Ami. Vermittlern gewährt man die Gnade eines schnellen Todes und die Organisation erschießt sie, wenn sie einen Befehl verweigern.“ Sie griff nach ihrem Slip und schlüpfte hinein. „Uns Wächter peitscht man aus, bis wir verrecken.“
In der Umkleidekabine war nichts zu hören, außer dem Rascheln von Kleidung und das Rauschen der ersten Duschen.

Jessica war sich nicht sicher, ob Ami ihr gehorchen würde, doch schon bald schritt die Asiatin wieder in ihrem Trainingsanzug an ihr vorbei. Den Blick auf den Boden geheftet, hielt sie die Tür zum Flur auf. „Kommst du, Mike?“, fragte sie leise.
Diesen Machtkampf hatte Jessica für sich entschieden. Doch der Geschmack des Sieges war schal. Ihre Aufgabe war es gegen Blutgeier zu kämpfen und sich nicht gegenseitig die Fresse zu polieren.
„Geh schon vor und fang an zu laufen. Ich bin gleich da“, sagte Mike zu ihr. Ohne Widerworte zu geben, gehorchte Ami.

Jessica hatte sich fertig umgezogen und packte jetzt ihre Sportsachen und ihr Kampfmesser in ihren schwarzen Rucksack. Die SIG steckte sie wieder in ihr Schulterholster. Als sie an Mike vorbei treten wollte, der noch immer in seinen verschwitzen Klamotten auf der Bank hockte, ergriff er ihren Arm. „Jessie?“
Sie schaute zu ihm herab. Sie fühlte sich furchtbar. Es war das erste Mal, dass sich einer ihrer Wächter ihr widersetzt hatte und niemals hatte sie eine solche Drohung aussprechen müssen. Es war schon vorgekommen, dass sie den einen oder anderen hatte reglementieren müssen, aber nur mit zusätzlichen harten Sporteinsätzen. Gedroht sie fortzuschicken oder gar sie töten zu lassen, hatte sie noch nie.

„Du hättest sie für ihre Worte auch härter bestrafen können“, flüsterte Mike. Er wusste natürlich was in ihr vorging.
„Ich habe sie geschlagen und vor euch allen gedemütigt, Mike.“ Jessica spielte an dem Kreuzanhänger, den sie an einer Kette um ihren Hals trug. „Ach ja. Und gedroht sie auspeitschen zu lassen, bis sie verreckt. Noch härter geht wohl kaum.“
„Meinst du? Du hättest sie für ihre Worte windelweich schlagen dürfen. Du bist ihre erste Wächterin, Jessie. Sie hat Glück, dass du so nachsichtig bist. Der Vermittler, dem ich als junger Spund unterstellt war, hätte sie an die Wand binden lassen und ausgepeitscht, bis ihr Rücken nicht mehr gewesen wäre als eine rohe, fleischige Masse.“
„Du übertreibst!“
Mika sah ernst zu ihr auf und als er seine Stirn in Falten legte, vertiefte sich eine schmale Narbe, die er knapp oberhalb seiner buschigen, rechten Augenbraue trug „Nein, Jessie. Das tue ich nicht.“

„Das ist Jahre her und ich bin kein Vermittler. Die Zeiten haben sich geändert.“
„An den Regeln hat sich nichts geändert … und auch nicht an den Strafen.“
Jessica schulterte ihren Rucksack und dachte darüber nach. Mike hatte nicht Unrecht. Auch Frank hätte in einer vergleichbaren Situation  anders reagiert und Ami wesentlich härter reglementiert. Nicht mit einer Peitsche, aber mit weit mehr, als sie es getan hatte. Aber Jessica war nicht so. Sie wollte so etwas nicht. „Kann schon sein … Ami muss lernen sich mir unterzuordnen und ich war im Recht. Sie ist noch nicht so weit, um eingesetzt zu werden. Auch zu ihrer eigenen Sicherheit. Ich kann es nicht verantworten, sie in den sicheren Tod zu schicken … Aber-“

„Nix, aber. So ist es. Punkt!“ Mike erhob sich und streichelte fast schon väterlich über ihre nassen Haare. „So, ich gehe jetzt mal zu Ami … Bis zum Kotzen, he? Scheiße. Soll ich die Kotze dann wegwischen, oder was?“, brummte er.
Jessica zuckte mit den Schultern. „Das überlasse ich dir. Lass sie zu Atem kommen und es selbst machen, oder nimm es ihr ab. Wie du willst.“
„Oh, danke.“ Mike kratzte sich seinen rasierten Schädel und schnappte sich eine neue Wasserflasche. „Sie wird ihren Mist schön selbst wegwischen. Mann! Nächstes Mal lass sie durch den Central Park laufen. Da muss keiner den Dreck wegmachen.“
Jessica grinste und nickte den anderen Wächtern zum Abschied zu. „Für einen Arzt bist du ganz schön empfindlich, was Körperflüssigkeiten angeht.“
„Oh, nicht bei allen. Bei Frauen zumindest gibt es etwas, was ich sehr gern mag.“ Mike zwinkerte ihr zu und folgte ihr lachend.
„Was mag das wohl sein? Sag schon!“, feixte Jessica und lief rückwärts vor ihm den Flur entlang, um ihn weiter ansehen zu können.
Mike schlug grinsend die andere Richtung ein und hob abwehrend den Arm. „Das würde ich dir viel lieber zeigen.“
„Vorsicht, Mike, sonst lasse ich dich auch noch ein paar Runden laufen“, rief sie ihm zu und drehte sich etwas besser gelaunt um.

Das Haus, in dem ihre Wohnung lag, gehörte der Organisation. Die meisten Wohnungen standen leer. Früher, vor dem Krieg, hatte es viel mehr Wächter gegeben. Jetzt waren nur noch fünfzig der einhundertsechzig Appartements bewohnt; aber nach wie vor ausschließlich von Wächtern. Die Hälfte der Bewohner gehörte zu Mcbright, die anderen waren Wächter, die die Zentrale bewachten, die nur zehn Gehminuten von hier entfernt lag. Sowohl das beeindruckende Glasgebäude der Zentrale der Organisation, wie auch das Haus der Wächter, lagen in Manhattan. Vom Dach dieses hohen Gebäudes aus konnte man den Hudson River sehen. Jessica ging tagsüber gern auf das Dach, jedoch niemals bei Nacht. Nachts war es zu gefährlich. Die Vampire wussten, wo die Wächter schliefen und ein Dach, an dessen Enden es hundert Meter in die Tiefe ging, war kein guter Ort, um einem Blutsaugern zu begegnen.

Jessica schloss ihre Wohnungstür auf und lächelte Frank überrascht aber erfreut an, während sie sich ihre Jacke abstreifte und ihr Schulterholster ablegte. Es war gut, jetzt nicht allein zu sein. Frank saß auf ihrem Sofa und blätterte mehr gelangweilt als interessiert in einer Tageszeitung. Er sah nicht einmal auf, als sie eintrat.
„Oh, hey. Wartest du schon lange auf mich?“, fragte sie und warf ihren Rucksack einfach zur Seite. Sie kickte die Tür mit ihrem Fuß zu und ging ohne Umschweife zu ihm, um sich rittlings auf seinen Schoß zu setzen, ihm die Zeitung aus der Hand zu reißen, die sie einfach auf den Boden fallen ließ, und ihren Mund in einem stürmischen Kuss auf seine Lippen zu drücken. Gott, sie wollte vergessen was eben passiert war!
„Jessie, warte“, sagte Frank ernst und drückte gegen ihre Schultern.

„Nein. Schlaf mit mir. Bitte!“, nuschelte sie und zog sich ihr grünes T-Shirt über den Kopf. Wieder küsste sie ihn begierig und begann mit hastigen und ungeduldigen Bewegungen sein schwarzes Hemd aufzuknöpfen. Das war genau das, was sie jetzt brauchte. Ablenkung, Nähe, heftige Leidenschaft, die es ihr unmöglich machte zu denken, oder etwas anders als Lust fühlen zu können. Gott, denken konnte manchmal so ätzend sein.
Sie spürte wie Franks Hände, wesentlicher geschickter als die ihren, ihren BH öffneten und sie stöhnte an seinem Mund auf, als er ihre Brüste umfasste. „Hier oder willst du in mein Bett?“, flüsterte sie und stieß mit ihrer Zunge tief in seinen Mund. Er schmeckte nach Kaffee. Sie mochte keinen Kaffee, aber das war ihr jetzt egal.

„Hier!“, brummte Frank und schob sie von sich, damit er sich weiter ausziehen konnte.
Jessica stand eilig auf, streifte sich Hose und Slip herunter und setzte sich wieder auf seinen Schoß. Sie wollte kein Vorspiel, sie wollte die Erinnerung an das, was eben in der Turnhalle passiert war, nur schnell vertreiben. Ami! Diese blöde Kuh.
Sie packte sein schon etwas aufgerichtetes Glied und rieb ihn in ihrer Faust.
„Sei etwas sanfter zu mir, Jessie“, raunte Frank in ihr Ohr und biss sie zur Strafe in ihren Hals. Sie hasste es, wenn er das tat und ärgerte sich, da er es wusste und trotzdem immer wieder machte.
Nicht denken, Sommers!

„Oh, tut mir leid“, murmelte sie mehr genervt als zerknirscht, umfasste sein Glied aber vorsichtiger und führte ihn dahin, wo sie ihn jetzt wollte – brauchte. Mit einem Aufkeuchen ließ sie sich hinabgleiten, nahm ihn gleich in ganzer Länge in sich auf. „Tut mir leid, Baby, aber ich brauche es ganz und gar nicht sanft“, knurrte sie und begann sich augenblicklich in harten Stößen auf ihm zu bewegen. Wellen von Lust rissen ihre Gefühle und ihren Verstand mit sich. Sie konzentrierte sich nur auf Franks harten Schwanz in ihr, krallte sich so heftig in seine Schultern, dass sie Spuren hinterlassen würde.
„Oh Baby, jaaa“, stöhnte sie und ritt ihn noch schneller.

Frank lehnte seinen Kopf zurück, überließ sich ganz ihrer Führung und beobachtete mit halb geschlossenen Augen, wie ihre Brüste im Takt ihrer heftigen Bewegungen schaukelten. Sie kamen schnell und fast gleichzeitig mit nur einem leisen, befreienden Stöhnen. Frank war beim Sex grundsätzlich eher ruhig, anders als Jessica, aber das spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Für einen kostbaren Moment hatte nichts eine Bedeutung, gab es nur sie beide, ihren rasenden Puls und ihren fliehenden Atem.

Erschöpft schlang Jessica ihre Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn, suchte bei ihm eine anhaltende Zufriedenheit, versuchte die Wärme und die Befriedigung festzuhalten, doch die Reue kam schnell und spülte die Gedankenlosigkeit, die Leere, mit sich! Oh Gott. Was hatte sie hier eigentlich gerade getan, verdammt? Frank benutzt, um sich ihr Herz und ihr Gehirn raus zu vögeln, und war jetzt enttäuscht, dass es nur für ein paar Minuten funktioniert hatte? Wenn Jessica noch tiefer sinken würde, befände sie sich weit unterhalb des Meeresspiegels.

Die Vorwürfe von Ami nagten nur noch heftiger an ihr. Frank war ihr Vermittler und sie hatte ihn eben bestiegen, wie eine ausgehungerte, sexbesessene Furie, wie ein triebgesteuerter – Vampir. Oh Mann. Vampir. Beinahe hätte sie gewürgt. Toll! Das war es, was ein Mann von der Frau hören wollte, die es ihm gerade heftig besorgt hatte. Kotzgeräusche!
- „Und wie hat´s dir gefallen, Schatz?“
„Es war so schön, Baby. Warte, ich muss mich nur eben übergeben.“ -
Scheiße!
Die Organisation billigte nicht, was sie taten. Ami hatte Recht.
Sünde. Es war Sünde …
Als Jessica nach Beendigung ihrer Ausbildung zu einer Wächterin nach New York gekommen war, hatte sie nur einen Wunsch gehabt. Einen einzigen Lebensinhalt. Nur einen Zweck aufzustehen und weiterzuleben. Sie wollte so viele Vampire töten, wie es ihr möglich war. Sie hasste die Blutsauger. Alle! Sie wollte Rache.

Rache, da die Vampire ihre beste Freundin getötet hatten, ihre Eltern, und … ihn.
Jessica holte tief Luft und hatte das Gefühl winzige Scherben statt Sauerstoff einzuatmen, die ihr die Lungen und ihre Brust zerschnitten. Trotzdem atmete sie weiter und weiter, und fragte sich gleichzeitig, wie lange sie das noch schaffen konnte, bevor sie erstickte. Es tat so verdammt weh. Es tat so weh, wenn sie an ihn dachte, nichts war schmerzhafter für sie gewesen, als ihn zu verlieren. Nichts! Nichts hatte sie mehr verändert, mehr zerrissen, als die Nachricht seines Todes.

Damals, als die Organisation noch Krieg gegen alle Vampire führte, waren ihre Eltern gefallen. Kurz vor Ende des Krieges dann – er. Und ein großer Teil von Jessica war unweigerlich zerbrochen und mit ihm gestorben. Ihre Freundin Anna war kurz nach der letzten Schlacht zwischen der Organisation und den Parasiten von Vampiren ermordet worden. Der zweijährige Krieg war gerade beendet gewesen, in dem weit mehr als dreißigtausend Menschen ihr Leben verloren hatten, und Jessicas eigenes zerstört worden war. Mann, und das alles lag jetzt acht Jahre zurück. Acht verdammte Jahre und seitdem war es für Jessica nicht wirklich besser geworden.

Sie hatte sich einsam und verlassen gefühlt, als sie nach New York gekommen war. Verloren, unfähig ihren Zorn in die Bahnen zu lenken, in die sie sie haben wollte, und die es ihr ermöglicht hätten, weiterzuleben. Frank hatte dieses entsetzliche, große Loch in ihrem Inneren zumindest ein wenig gefüllt. Mit einer Aufgabe. Mit der Möglichkeit, der Hoffnung, seinen Tod zu vergelten. Frank hatte sie in seinem Team aufgenommen und auf die Jagd geschickt. Das war es, was sie gebraucht hatte. Führung, ein Ziel, den Kampf, um neben dem unglaublichen Schmerz, der sie zerrieb, noch etwas anderes zu spüren; einen Hauch von Genugtuung, wenn wieder ein Parasit durch ihre Hände starb. Jessica hatte so dringend jemanden gebraucht, der ihr in dieser Welt, die ihr alles genommen hatte, ein Anker war; Sicherheit vermittelte und ihr eine Bahn vorgab, auf der sie sich bewegen musste, von der sie nicht abweichen konnte. In physischer Hinsicht brauchte sie keinen Schutz, denn sie war die Kämpferin und nicht Frank, aber er gab ihr psychische Stabilität und dadurch, dass sie mit ihm eine Beziehung eingegangen war, gab es nicht einen Bereich, indem sie sich nicht auf ihn verlassen konnte, es sogar musste. Er war immer präsent. Außer ihren Besuchen bei Bob hatte sie nichts allein für sich und auch wenn ihr Leben sich in einem straff gespannten Korsett befand, war es genau dieser enge Rahmen, der es ihr ermöglicht hatte weiter zu machen. Sie musste nicht nachdenken, das übernahm Frank für sie. Sie musste nur handeln. Immer in Bewegung, immer im Kampf … Scheiße, war das wirklich genug? Nach den Jahren war der ihr Halt gebende Rahmen ein Käfig geworden und was nützte es, wenn man die Parasiten abknallte und es doch nie ein Ende nahm? Die Befriedigung der Jagd wurde zu einer Pflicht, der Wunsch nach Rache wich Resignation … Er würde doch nie zurückkommen. Auch wenn alle Vampire vernichtet wären.

Mühsam unterdrückte Jessica ein schmerzerfülltes Aufstöhnen. Verdammt. Sie wollte nicht an ihn denken. Es tat so weh. Wieso tat es nach über acht Jahren noch immer so weh!? Kein körperlicher Schmerz war intensiver, als die Qual die sie litt, da sie ohne ihn leben musste.
Oh Gott!
Sie verdrängte die Gedanken an ihre Vergangenheit. Manche Dinge ließen sich nur ertragen, wenn man sie gänzlich aus dem Kopf vertrieb.
Ami glaubte, dass sie nur erste Wächterin geworden war, weil sie mit Frank schlief. Dachten die anderen das auch? Jessica runzelte ihre Stirn. Mike übernahm die meisten ihrer Pflichten, die nicht mit Kämpfen zu tun hatten. Er machte den Papierkram, teilte sogar ihr Team häufig für sie ein, kümmerte sich um den Abtransport der Verwundeten, der Leichen, um den der toten Parasiten … Und was machte sie? Sie kämpfte. Sie tötete. Sie trainierte. Mehr nicht.

„Wieso hast du eigentlich mich zu deinem ersten Wächter ernannt?“, brach es aus ihr heraus.
Frank küsste ihre Wange und hob sie ein Stück an, damit er aus ihr herausgleiten konnte. Der Geruch von Sex hing in der Luft und er kam Jessica vor wie ein mahnender Hinweis auf ihr Vergehen.
Der Rat billigte nicht, was sie taten, die Organisation verbot es!
Sünde, Sünde, Sünde!

„Wieso, Jessie? Was für eine seltsame Frage. Weil du die beste bist, natürlich.“ Frank legte ihre Sofadecke über ihre bloßen Schultern und deckte sie beide zu.
„Ich … kann sein.“ Jessica seufzte und kuschelte sich enger an ihn. Müde legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und strich mit den Fingern ihrer rechten Hand durch die Strähnen seines kurzen, grauen Haares. „Wir werden nie heiraten können.“ Dieser Gedanke war ihr urplötzlich gekommen und ehe sie sich versah, hatte sie ihn schon ausgesprochen.
„Du …du hast über eine Heirat nachgedacht?“, fragte er stockend.
Jessica zuckte mit den Schultern. Würde sie es wollen, wenn sie es konnte? Liebte sie ihn dafür genug? Ihre Muskeln versteiften sich, als sie darüber nachsann. Sie sagte ihm ständig, dass sie ihn liebte, aber wenn sie die Gefühle, die sie für Frank empfand, mit denen verglich, die sie einst für – Nein. Sie wollte nicht wieder daran denken! Nicht an ihn. Nichts ließ sich mit ihm vergleichen.

„Wir haben nie darüber gesprochen.“ Sie löste sich von Frank, sah ihm ernst ins Gesicht und fragte sich, wohin die Beziehung mit ihrem Vermittler führen sollte? Ins Nichts, eine andere Option gab es für sie nicht. „Du hast noch keine Kinder, Frank. Die Organisation erwartet von uns, dass wir Kinder bekommen, jetzt wo unsere Reihen durch den Krieg so dezimiert wurden. Der Rat verlangt natürlich, dass man zuerst heiratet, bevor man … na ja, Kinder macht.“ Mein Gott, sie hatte ihn gerade gevögelt, als gäbe es kein Morgen, und als sie ansprach, wozu dieser Akt eigentlich da war, wurde sie rot.
„Ich war verheiratet“, sagte er ausweichend.

„Deine Frau ist seit fünfzehn Jahren tot und ihr hattet keine Kinder. Du kannst mich nicht heiraten. Master Friedrich würde es niemals erlauben. Du wirst dir schon bald eine Frau nehmen müssen und ...“ Sie hätte beinahe gesagt `deine Pflicht tun´, doch das klang nun doch zu archaisch … auch wenn es genau das war. Es war seine Pflicht. „Du schuldest der Organisation Kinder. Du wirst … Ich kann diese Frau nicht sein. Schon allein, da ich deine Wächterin bin.“ Sollte diese Erkenntnis sie nicht schmerzen? Sollte sie nicht eifersüchtig werden, wenn sie sich vorstellte, wie er eine andere Frau liebte?
War sie es? Nein. Oh Mann.

„Ich könnte dich heiraten, wenn ich dich jemand anderem zuweise. Wenn du nicht mehr unter mir dienst, würde Master Friedrich einer Heirat zustimmen.“
Jessica schnappte erschrocken nach Luft und versuchte schnell ihre Bestürzung zu verbergen. Sie war eine erste Wächterin New Yorks! Wenn Frank sie versetzte, wäre dies eine Degradierung. Dann hätte sie nichts mehr. Nichts!

„Das- das ist doch gar nicht der Punkt. Du wirst keine Kinder mit mir haben können. Du brauchst eine Ehefrau, die schwanger werden kann“, widersprach Jessica und hörte selbst, wie abweisend und hohl sie klang. So als suchte sie Argumente für ihn, warum er sie verlassen sollte. Und sie? Welches Argument bräuchte sie, um ihn zu verlassen? Mann! Wie sollte sie einen Mann abservieren, dessen Machtkompetenz über sie so weitreichend war, dass er sie hin versetzen könnte, wo immer er wollte? Er war ihr Vermittler, verdammt! Es gab gute Gründe, warum die Organisation Beziehungen dieser Art nicht billigte.
Jessica kletterte mit einem beklemmenden Gefühl von Frank herunter und zog sich mit unsicheren Bewegungen an. Mann Sommers, musst du noch eins draufsetzen und ausgerechnet nach so einem beschissenen Tag so ein Thema anschneiden? Jessica unterdrückte den Impuls, ihren Kopf auf den Glastisch zu schlagen.
„Die Medizin hat viele Fortschritte gemacht. Künstliche Befruchtung und dergleichen“, meinte Frank und bückte sich nach seiner Hose. Seine Bewegungen waren wie immer zielgerichtet und etwas steif, als er sich langsam anzog.

„Frank! Die verfluchten Blutsauger haben dafür gesorgt, dass ich niemals ein Kind austragen kann. Lies meine Akte und- ahh ... Es ist so, okay?“ Sie schnaufte. „Bitte. Lass uns nicht mehr davon sprechen.“ Auf dem Weg zur Küche streifte sie sich ihr T-Shirt über. Als sie zu Beginn des Krieges auf Silverrock von einer Horde Vampire angegriffen wurden und keines der anderen Kinder und Jugendlichen dieser Schule überlebt hatte, außer ihr und ihrer besten Freundin, waren zwei Blutsauger auf brutalste Weise über Jessica hergefallen. Sie hatten sie vergewaltigt und dabei dermaßen stark verletzt, dass sie – moderne Medizin hin oder her – nie ein Kind bekommen konnte.

Frank folgte ihr und lehnte sich gegen ihren silbernen Kühlschrank, während sie Wasser in den verkalkten, alten und schon ziemlich klapprigen Wasserkocher laufen ließ. Den sollte sie mal sauber machen. Wie den Rest ihrer kleinen Küche … und am besten gleich ihre ganze Wohnung … Morgen oder so.
„Möchtest du auch einen Tee?“, fragte sie und verfluchte sich, da ihre Hände zitterten. Verdammt! Sie schlief mit ihrem Vermittler!
„Ist alles in Ordnung?“

„Ja … Nein. Ach, verdammt.“ Sie knallte den Wasserkocher auf den Tisch und schaltete ihn mit einem weiteren Fluch ein. Skeptisch betrachtete sie Franks Gesicht, mit den tiefen Falten auf seiner Stirn und um seine Augen. „Wieso hast du mich zu deinem ersten Wächter gemacht? Ist es, weil wir damals schon … Äh, wieso ich?“
Frank runzelte die Stirn und sie sah sofort, dass er ärgerlich wurde. Toll! Nach ihrem Streit mit Ami schlitterte sie in eine Auseinandersetzung mit ihrem Boss. Sie könnte jetzt einfach die Klappe halten, aber … Nein, das konnte sie nicht. Jessica wollte es wissen. Die Wahrheit. „Ich meine, es gab auch noch Mike.  Ist er nicht geeigneter als ich? Er ist schon länger dein Wächter und er ist viel klüger. Wieso hast du also mich ihm vorgezogen?“
Sie holte zwei Tassen aus dem Schrank und hängte in beide jeweils einen Beutel schwarzen Tee. Das Wasser begann leise zu brodeln.

„Zielt deine Frage darauf ab, dass ich dich erwählt habe, obwohl wir zu diesem Zeitpunkt bereits eine intime Beziehung zu führen begonnen hatten? Denkst du, ich bin so unprofessionell und hormongesteuert, dass ich meine Entscheidung davon abhängig mache, mit wem ich schlafe? Oder dass ich wie ein einfältiger Junge jemanden aussuche, eine derartig wichtige Position einzunehmen, nur weil ich verliebt bin? Gott, Jessica. Ich bin ein Vermittler. Ich lasse mich nicht von Gefühlen leiten.“

„Das habe ich auch nicht gesagt.“ Aber ja, genau das meine ich. Sie sprach die Wahrheit nicht aus, sondern goss das heiße Wasser in die Tassen und beobachtete den Wasserdampf, wie er aufstieg und so schnell zerstob, als wäre er nie dagewesen. Schade, dass man auf Wunsch dieses Prinzip nicht auf ausgesprochene Wörter übertragen konnte. Sie hätte einfach die Klappe halten sollen. Andererseits würde sie nicht aufhören sich zu fragen, ob Ami Recht hatte, wenn Frank nicht einen besseren Grund nennen konnte, als den, dass sie die meisten Blutgeier erledigt hatte. Das machte sie zu einer guten Wächterin, aber nicht automatisch zu einer qualifizierten Anführerin.

„Aber das ist es, was du fragen willst. Was soll das, Jessie? Hältst du mich für einen verliebten Narren oder einen schwanzgesteuerten Versager?“
Oha. So vulgäre Worte passten nicht zu Frank und zeigten ihr, wie sauer er war. Natürlich war er das. Er war ein Vermittler. Trainiert, seine Gefühle zu kontrollieren und nur nach kühlen, taktischen Gesichtspunkten zu agieren. Sie hätte ähnlich wütend reagiert, wenn er sie, eine Wächterin, bezichtigt hätte aus zehn Meter Entfernung ein großes, unbewegliches Ziel mit einer Pistole oder einem Messer zu verfehlen.
Jessica rührte mit den Teebeuteln das Wasser um und versuchte ihn und seinen Zorn zu ignorieren, wohl wissend, dass das nicht funktionieren würde.

„Ich spreche mit dir!“
Jessica warf die Teebeutel in die silberfarbene Spüle, in der sich seit Tagen dreckige Messer, Teetassen und Gläser stapelten. „Das höre ich.“ Sie holte tief Luft und reichte ihm seine Tasse. „Ich hatte einen harten Tag … Keine Ahnung, wieso ich ... Ich habe mich nur gefragt, was dich zu deiner Entscheidung gebracht hat, ausgerechnet mich zu ernennen. Weiter nichts.“ Natürlich könnte sie ihm von Amis Vorwürfen berichten, doch das war etwas, was sie niemals tun würde. Frank würde fuchsteufelswild werden und sie wollte nicht, dass er Ami bestrafte. Das, was in der Übungshalle passiert war, war ein Streit unter Wächtern. So etwas trug man unter sich aus und nicht vor seinem Vermittler.

Frank nahm Jessica die weiße Tasse ab und kippte seinen Tee, ohne auch nur daran genippt zu haben, wutschnaubend in den Ausguss. Die Tasse warf er scheppernd in die Spüle, wo sie klirrend an den Rand eines Glases fiel und ein Stück des Tassenrandes absplitterte. „Weiter nichts? Hinterfrage nicht meine Entscheidungen, Jessica. Auch nicht die, die dich betreffen. Du bist meine Wächterin und ich kann zwischen meinen Aufgaben als dein Vermittler und unserer privaten Beziehung sehr wohl einen Trennstrich ziehen.“
Jessica! Er nannte sie bei ihrem vollen Vornamen und nutzte nicht den Spitznamen, den alle verwendeten, die ihr nahestanden. Scheiße. Kein gutes Zeichen.
„Natürlich kannst du das. Ich wollte doch nicht, äh-“ Wie sollte sie sich jetzt noch herausreden?

„Du hast meine Entscheidungen nicht zu hinterfragen, Wächter!“ Er spie jedes Wort aus und sprach sie jetzt auch noch mit ihrem Dienstgrad an. Ihre Unterhaltung war nicht länger privat. Er stand jetzt als ihr Boss vor ihr. Ein verflucht wütender Boss.
Jessica biss sich auf ihre Unterlippe. Verdammt. Frank ließ es nicht einfach auf sich beruhen. Entsprechend ihrer Erziehung fühlte sie sich gezwungen ihm zu zeigen, dass sie seine Autorität nicht anzweifelte. Sie stellte ihre Tasse möglichst geräuschlos auf den Tisch und beugte ihr Knie vor ihm. „Ich hinterfrage keine deiner Entscheidungen. Ich bitte um Vergebung und erwarte deine Strafe … Sir.“

Frank zog sie unsanft hoch und funkelte sie zornig an. „Jessie!“ Er betrachtete eine Weile nachdenklich ihr Gesicht und dann wurde sein Blick milder. „Ach Jessie … Tut mir leid. Ich habe überreagiert.“
„Nein, nein. Mir tut es leid. Du hast vollkommen Recht. Was ich sagte war nicht ... äh, ich hätte nicht so mit dir sprechen sollen.“
„Vergessen wir das.“ Er ließ sie los und holte aus seiner Hosentasche eine zweifach gefaltete Karte. Jessica nahm ihre Tasse und schlürfte den heißen Tee. Bah. Er schmeckte fast nur nach Wasser. Sie hatte den Teebeutel viel zu früh herausgenommen.
„Das hier ist eine Einladung … Für uns.“ Frank hielt ihr die zerknitterte, aber aus hochwertigem Papier angefertigte Karte entgegen.
Jessica ergriff sie stirnrunzelnd und klappte sie auseinander. Der Text war ordentlich mit einem Füller geschrieben.

Mr Mcbright,
ich lade Sie mit Ihrer ersten Wächterin zur Eröffnung meines Clubs ein. Kommen Sie heute zur Stunde null in mein Etablissement.                                                                                                                                                                      Niklas

Jessica schaute erstaunt auf. „Niklas? Die Blutsauger haben jetzt einen Club? Und sie laden ausgerechnet mich dazu ein?“
„Ja. Mr Simmon wünscht, dass wir die Einladung annehmen.“
Was? Dein Boss verlangt, dass wir da auch noch hingehen? Ich soll- ich soll da hingehen? In eine Höhle voller Parasiten?“ Sie warf die Karte mit einem Laut des Unmuts auf den Küchentresen und kippte wie Frank zuvor ihren Tee in den Ausguss. „Bitte sag mir, dass ich da mit meinen Wächtern hin darf und alles niederballern soll, was eine Pulsfrequenz von unter fünfzig hat!“ Vampire hatten durchaus einen Herzschlag, aber er war viel langsamer als der eines Menschen.

„Nein. Niklas hat uns eingeladen. Vergiss das nicht. Wir sind seine Gäste. Zieh dir ein hübsches Kleid an und lass deine Waffen hier. Ich hole dich um halb zwölf ab.“
„Ein Kleid. Keine Waffen. Das ist nicht dein Ernst!“ Sie schnaubte wütend und klopfte mit ihrem Zeigefinger auf die Einladung. „Und wenn das eine Falle ist?“
„Wir gehen zu dieser Veranstaltung. Mr Simmon sagte mir, dass auch andere hochrangige Vermittler geladen sind. Wenn es eine Falle ist, helfen uns auch deine Waffen nichts, Jessie. Gegen Niklas allein, könnten es nicht einmal zehn meiner Wächter aufnehmen und allein wird er nicht sein. Du schon. Du bist die einzige Wächterin, der er gestattet zu kommen.“
„Bah. Er gestattet es mir nicht, er befiehlt es regelrecht! Und sei dir nicht so sicher, was ich alles töten kann. Auch ganz allein“, brummte sie. „Und ein beschissenes Kleid hab´ ich gar nicht.“

Frank packte grob ihren Arm und sein Blick bohrte sich durchdringend in ihre Augen. „Ich bin mir sicher, dass du gegen Niklas nicht gewinnen könntest. Du wirst höflich sein und ihn nicht provozieren. Du wirst nicht kämpfen. Ist das klar?“
Jessica nickte, erstaunt über seinen erneuten Wutausbruch und der Heftigkeit, mit der er sie festhielt. „Ja, natürlich ... Du tust mir weh, Frank.“
Er ließ sie sofort los. „Du brauchst kein Kleid anzuziehen, aber komm nicht in deiner Uniform. Das könnte Niklas als Provokation auffassen.“
„Mich einzuladen ist eine Provokation und zwar seine an mich!“
„Ja, das sehe ich auch so, aber er ist ein Vampir, Jessie, sogar ein Fürst, und der Rat wünscht, dass wir Frieden halten. Also werden wir dieser netten Einladung Folge leisten und uns benehmen. Keine Waffen!

Jessica drehte den Kreuzanhänger an ihrer Kette um seine Achse und wich Franks Blick aus. Er kannte sie gut genug, um sie erneut auf das Waffenverbot hinzuweisen.
„Ja … Scheiße. Wie heißt denn der Club?“
„Bloody Banquette.“
Banquette? Heilige Scheiße! Sollen wir uns vielleicht auf den Tisch legen, mit einem Apfel in der Fresse?“
Frank lachte. „Ich glaube nicht, dass er das erwartet, aber ich könnte mir vorstellen, dass Niklas so etwas gefiele.“
„Pah!“ Jessica kniff ihre Augen fest zusammen. „Er hält sich wohl für witzig. mit diesem blöden Namen und dieser bescheuerten Einladung.“
Frank wurde wieder ernst. „Vielleicht. Zumindest hält er sich für einen der mächtigsten Vampire, die es gibt, und leider ist er genau das. Keine Beleidigungen, keine Waffen, keine unflätigen Gesten. Du wirst ein braver Wächter sein und ihn höflich behandeln. Jessie? Höflich!“
„Ja, ja. Höflich!“ Sie rollte mit ihren Augen.
Verdammt. Sie würde diesem Arschloch von einem Blutsauger nur zu gern höflich eine Kugel in den Schädel jagen und ihm höflich das Herz herausschneiden, um es höflich in sein verfluchtes Maul zu stopfen, während er höflich am Verrecken war.
„Ich werde gaaanz höflich sein.“

Frank küsste sie auf ihre Wange und zwickte sie in ihre Schultern. Er lächelte sie an, doch es lag nicht die geringste Freude in diesem Zug. „Das war kein Scherz, Jessie. Du betrittst heute Nacht die Bühne der Vermittler. Mit Vampiren zu sprechen, die nicht zu Blutgeiern geworden sind, ist nicht weniger gefährlich, als Abtrünnige zu jagen und zu töten. Niklas wird es nicht hinnehmen, wenn wir ihn nicht respektvoll behandeln und der Rat erwartet von uns, dass wir uns den Vampiren gegenüber verhalten, als seien sie unsere übergeordneten Vermittler.“
Jessica umfasste fest ihr Kreuz um ihren Hals. „Das- das wusste ich nicht.“ So etwas verlangte der Rat von ihnen? Wieso?
„Brauchtest du ja bisher auch nicht zu wissen. Deine Aufgabe ist es zu kämpfen und nicht diplomatisch zu palavern … Ich würde dich lieber nicht mitnehmen, aber ich habe keine Wahl.“
Jessica nickte und holte tief Luft. „Du kannst dich auf mich verlassen, Frank. Wie immer.“
„Du würdest dein Leben für mich geben, Jessie, das weiß ich, aber ob du dein vorlautes Mundwerk zügeln kannst, da habe ich so meine Zweifel.“ Er küsste sie erneut auf ihre Wange und ging.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen