Sonntag, 31. August 2014

Der Pakt - Kapitel neun #Vampirroman

Hallo Freunde der Nacht!
Es geht weiter in der Welt Zwischen Göttern und Teufeln, in der sexy Vampire noch Menschenblut trinken und die Menschen nicht unschuldige Opfer sind, sondern auch hart zurückschlagen können.

Viel Spaß und ein dunkles Lesevergnügen. Eure Laya Talis

Bitte beachten: 
Kopieren und weiterverbreiten des Textes ist nicht gestattet! Danke für euer Verständnis.
Wer es nicht abwarten kann oder mich unterstützen möchte: Das komplette Taschenbuch gibt es hier bei Amazon: Amazon (Taschenbuch)  Und das E-Book ebenso hier: Amazon E-Book und auf allen anderen gängigen E-Book-Plattformen. 


Sophia

Außer Atem lehnte sich Sophia mit ihrer Schulter gegen die Mauer des roten Backsteinhauses und suchte mit Blicken die Umgebung ab.
Mist. Wo war sie nur?

Sophia hatte im Stadtpark mehrere Fotos von einer toten Amsel geschossen. Den Vogel hatte sie im Rasen unter einer Eiche gefunden. Das schwarz gefiederte, tote Tier im Gras liegen zu sehen, hatte sie bewegt und nachdenklich gemacht. Der Vogel lag auf seinem Rücken, die schwarzen Schwingen dicht an seinen Körper angelegt und die Füßchen gekrümmt, als wolle es sich noch an einem Ast festkrallen, so als wäre er noch nicht bereit dazu, sein Leben loszulassen. Wie viele Menschen waren schon an ihm vorbeigegangen, ohne ihn zu beachten? Wieso sollte das auch jemand tun? Wen kümmerte schon der Tod eines Vogels? Aber eine andere Amsel würde es vielleicht bekümmern. Gab es hier irgendwo einen anderen seiner Art, der ihn vermisste? Oder gingen, flogen, sie alle weiter und verharrten nicht für eine Sekunde an seinem Totenbett?

Sophia fragte sich, wer an ihrem eigenen Grab stehenbliebe, wer sie vermissen würde. Lilli? Ja, natürlich. Lilli würde sie vermissen. Ein Jahr, vielleicht auch zwei Jahre lang. Sie waren Freunde, aber für Lilli war Sophia nicht mehr, denn der blondgelockte Engel hatte noch eine Familie. Ihr Leben würde sich ohne Sophia nicht einschneidend ändern … Und was war mit Alex? Nein, für ihn war sie schon längst kein Teil seines Lebens mehr. Sophia streichelte betrübt ihren Bauch. Würde es jemanden geben, der sich um ihr Baby kümmerte, wenn sie nicht mehr da wäre? Es lieben würde?

Während Sophia diesen düsteren Gedanken nachgehangen war, hatte sie plötzlich die seltsame kleine Frau bemerkt, die sie schon einige Male beobachtet hatte. Sie hockte gute zehn Meter von ihr entfernt, mit nackten Füßen und mit einem langen, schwarzen Mantel bekleidet, auf einem der unteren, dicken Äste einer alten Buche.
Sophia hatte endlich einen kurzen Blick in ihr blasses, herzförmiges Gesicht erhaschen können, bislang war es immer von ihrer Kapuze verdeckt gewesen.
Mein Gott.

Die Fremde war bildschön. Die Augen, groß, rund und stechend schwarz, hatten aus einem weißen, ebenmäßigen Gesicht zu ihr geblickt. Volle, bleiche Lippen eines bezaubernd verführerisch geschwungenen Mundes, waren zu einem spöttischen Lächeln verzogen. Eine gerade Nase und perfekt gebogene Augenbrauen komplettierten die verwirrende Mischung einer sinnlichen, aber unschuldig wirkenden, exotischen Schönheit. Ihre Züge waren sehr fein modelliert und scharf geschnitten. Ihre Haut war weiß wie Alabaster und bar jeden Makels und jeder Falte, als trüge sie eine wächserne Maske. Eine Maske, die lockte, verführte, verzauberte … aber Sophia ahnte, dass das, was sich dahinter verbarg, nichts von der Unschuld besaß, die ihr Anblick vortäuschte.

Einen Lidschlag später war die Fremde elegant wie eine Katze von dem Baum gesprungen und begann sich mit langsamen Schritten von Sophia fortzubewegen.
Sophia hatte nicht gezögert und war ihr entschlossen mit geschultertem Rucksack nachgelaufen. Jetzt war Schluss! Sie wollte wissen, wer diese Person war. Doch immer wenn Sophia ihr Tempo erhöht hatte, war auch die Fremde schneller geworden, so dass sich der Abstand zwischen ihnen nicht veränderte.

So liefen sie seit über einer Stunde durch die Stadt, als spielten sie ein absonderliches Spiel gegeneinander, bis es Sophia hierher gebracht hatte und die Fremde plötzlich verschwunden war. Sophia war auch schon am Ende ihrer Kräfte. Sie war zwar trotz ihrer Schwangerschaft gut in Form, da sie noch immer täglich weite und lange Spaziergänge unternahm, aber dieses Tempo saugte ihre letzten Reserven auf.
„Wo bist du?“, flüsterte Sophia. Sie rechnete natürlich nicht mit einer Antwort, umso erschrockener war sie, als sie eine bekam.
„Hinter dir!“, hörte sie eine kindlich-hohe Stimme.

Laut einatmend wirbelte Sophia herum und da stand sie. Mist, diese Fremde war vielleicht schnell und leise! Just in dem Augenblick, in dem sie sich endlich gegenüberstanden, begann es zu dämmern und die Frau schaute prüfend zum Himmel, die Augen zu zwei Schlitzen zusammengezogen. Sie war sehr zierlich und klein, höchstens einen Meter sechzig, so dass Sophia sie locker um einen halben Kopf überragte.

„Du weißt nicht, wer du bist? Oder doch?“, fragte die Fremde und sah wieder zu Sophia. Sie legte ihren Kopf leicht schräg, das Gesicht halb im Schatten, und musterte Sophia ausgiebig und ungeniert von oben bis unten. Ihre Worte schienen einer eigenen Melodie zu folgen, wobei sie das ´R´ auffällig rollte und die Vokale in die Länge zog. Sophia konnte diesen Akzent keinem Land zuordnen, aber er passte zu ihr. Er klang einerseits schmeichelnd und verführerisch, und doch unterstrich er ihre Jugend und ließ sie verletzlich wirken. Sie sah nicht älter aus als achtzehn Jahre. Der Blick aus ihren Augen, die sich bei Nahem als dunkelbraun entpuppten, war dagegen alt. Es lag eine Tiefe und Erfahrung darin, welche eine so junge Frau nicht besitzen sollte. Diese Augen hatten zu viel gesehen. Zu viel – Wissen lag in ihnen.

„Sagen Sie mir sofort, wer sind Sie und wieso Sie mir folgen!“ Sophia hob fragend ihre linke Augenbraue und verzog missbilligend den Mund.
Die Fremde schnalzte verärgert mit ihrer Zunge. „Ah, wer ich bin? Du folgtest doch soeben mir, nicht wahr? Und muss man nicht erst sich selbst kennen, bevor man andere zu erkennen in der Lage ist?“

Sophia tat einen Schritt zurück. Was war das denn für eine schwachsinnige Antwort? Die Fremde lächelte sie erneut an und wandte ihren Kopf so, dass das Licht einer Straßenlaterne ihr Gesicht beschien und kein Schatten mehr etwas von ihr im Verborgenen hielt. Oh Gott. Sophia hatte noch nie jemanden gesehen, der dermaßen schön und – perfekt aussah! Zu perfekt, um noch natürlich auszusehen. Zudem verliehen die Makellosigkeit ihrer Haut und der blasse Teint ihrer Züge eine Starre, als wäre sie leblos wie eine Statue. Unfassbar schön, aber dennoch aus Stein.

Sophia fröstelte es bei ihrem Anblick. Flieh! Flieh so schnell du kannst! schallte es in ihrem Kopf. Es war bezwingend wie ein Befehl, wie ein … Befehl. Sophia kämpfte gegen diesen durchdringenden Instinkt, der sie zur Flucht rief, mit all ihrer Willensstärke an. Denn er war irrational, nur auf niedere Gefühle von Angst zurückzuführen, die nüchtern betrachtet keinen Sinn ergaben. Vor ihr stand eine kleine, schmächtige Frau und sie beide befanden sich in einem Wohnviertel. Kein Ort für einen Angriff und wenn die Fremde nicht bewaffnet war oder eine Kampfausbildung genossen hatte, sollte sie auch für Sophia in ihrem schwangeren Zustand keine Gefahr darstellen. Ganz abgesehen davon, dass ihr plötzliches Auftreten erstaunlich war, war ihr Verhalten nicht bedrohlich. Wieso versuchte alles in Sophia sie dennoch zu zwingen, sofort wegzurennen?

„Sie beobachten mich. Ich habe Sie vor meiner Wohnung gesehen und deswegen bin ich Ihnen eben nachgerannt. Also! Was wollen Sie von mir und wer sind Sie?“, fragte Sophia und legte ihre Hände wie zum Schutz auf ihren Bauch. Sofort folgte die Fremde mit ihrem Blick dieser Bewegung und das maskengleiche Gesicht wurde noch verschlossener. Die dunklen Augen dominierten das schöne Gesicht, vor allem wegen des stechenden Blickes, der bei Anna eine Gänsehaut verursachte.
Flieh! Flieh!

„Oh ja. Ich beobachtete dich bereits seit einigen Wochen und ich bemerkte sofort, dass du ein Kind trägst, Sophia.“ Die Schöne versuchte nicht einmal zu verbergen, dass sie ihr nachgestellt hatte. Dass sie sie auf ihre Schwangerschaft ansprach, steigerte Sophias vernunftwidrige Furcht.
Flieh! Flieh!

Sie kennt meinen Namen, wunderte sich Sophia und schaute sich gleichzeitig um. Sie waren allein, denn um diese frühe Stunde ließ sich niemand auf der Straße oder in den gepflegten Vorgärten sehen. Es war offensichtlich kein guter Zeitpunkt, sich mit seiner unbekannten Stalkerin zu treffen.
„Sie kennen meinen Namen, aber ich nicht Ihren. Also, wer sind Sie?“, beharrte Sophia tapferer weiter, als sie sich fühlte. Der Trieb davonzurennen, sich zu verstecken, wurde immer größer.
Flieh, flieh so schnell du kannst. Niemand darf dich finden.

„Ah, ich kenne deinen Namen, aber kennst du ihn auch? Leider nicht, nicht wahr?“, fragte die kleine Frau und zog die schwarze Kapuze ihres Mantels tiefer ins Gesicht, so dass Sophia nur noch ihren Mund erkennen konnte. „Das ist höchst bedauerlich.“
Was? Was …?“ -soll dieser ganze Unsinn! Sophia seufzte und entschied, die Frau nochmals freundlich zu fragen: „Wer sind Sie?“, während sie den Abstand zu ihr vergrößerte.
„Ich bin Madleen. Sophia … Sophia Winter. Wieso nennst du dich nicht Herbst oder Frühling?“ Sie kicherte. „Der Winter ist doch so kalt. Wer mag ihn schon, ah?“
Madleen? Madleen … Sophia unterdrückte ein Schaudern. Nur die Nennung dieses Namens, ließ ihre Instinkte erneut aufschreien.
Renn so schnell du kannst! Niemand darf dich finden.

Madleen kicherte schon wieder. Es klang wie das Lachen eines kleinen Mädchens. Eine Spur spöttisch, mit einer Prise Bosheit darin. Ein gemeines, kleines Mädchen. Die Art von kleinem Mädchen, das ihren Puppen die Köpfe abriss. „Sophia Winter. Ah! Wie erheiternd. Nein, meine junge Freundin. Das ist nicht dein Name.“ Sie kam mit zwei tänzelnden Schritten auf Sophia zu und schielte unter ihrer Kapuze zu ihr herauf. „Du riechst gut.“
Du riechst gut? Um der aufgezwungene Nähe auszuweichen, trat Sophia ein Stück zur Seite, dichter an die Hauswand heran. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich will, dass Sie sich von mir fernhalten!“, sagte Sophia und neben ihrer größer werdenden Furcht, wurde sie auch wütend. Die befehlende Stimme in ihr, mehr Gefühl als ausgesprochene Worte, schrie immer lauter.
Flieh! Verstecken! Niemand darf dich finden!

Das, liebe junge Freundin, kann ich nicht tun. Ich habe Jahre nach dir gesucht und werde dich nicht wieder gehen lassen. Ich muss wissen … ich-“, sie gab ein schnurrendes Geräusch von sich und anstatt ihren Satz endlich zu beenden sagte sie: „Du gehörst mir.“
„Wie bitte? Ich gehöre Ihnen ganz bestimmt nicht. Sind Sie vielleicht betrunken?“ Sophia hörte, wie ein Motor gestartet wurde.
Madleen kicherte wieder. „Ich habe heute Nacht noch nicht getrunken. Bietest du dich mir an?“
„Ich … Was?“ Sophia blinzelte verwirrt. Das war eine Verrückte. Mist. Vor ihr stand eine verrückte Stalkerin.

„Du hast die gleichen Augen wie dein Vater, die gleichen Züge und die gleiche Mimik.“ Diese seltsame Bemerkung klang wie ein Vorwurf und Madleen tänzelte erneut auf ihren nackten Füßen näher zu Sophia heran. Eine Nähe, die Sophia das Blut in den Adern gefrieren ließ. So klein Madleen auch war, strahlte sie plötzlich trotzdem eine ungeheure Macht aus, als hätte sie sie vorher bewusst verborgen. Sie umgab eine kühle Aura, die Sophia nicht sehen aber als leichtes Kribbeln auf ihrer Haut spüren konnte.
Flieh! Flieh!

„Ah, was geht nur in deinem Kopf vor? Ich kann es nicht ergründen. Du bist nicht nur das Ebenbild deines Vaters, sondern offensichtlich auch genauso … ah, dickköpfig wie er. Das mag ich nicht“, knurrte Madleen und zog sich die Kapuze so tief in die Stirn, dass ihr Gesicht beinahe ganz darunter verschwand.
„Sprechen Sie nicht von meinen Vater und sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen“, herrschte Sophia sie an. Diese Begegnung wurde immer gruseliger. Woher wusste Madleen, wie Sophias Vater ausgesehen hatte? Madleen, Madleen … Kannten sie einander etwa? Von früher? Aus der Zeit vor dem Unfall? Vielleicht waren sie Nachbarn gewesen? Blödsinn!
Aber irgendwie kam sie Sophia bekannt vor, wenn sie nur wüsste … Sie musste sich doch erinnern können. So ein Mist. Sie hasste es, dass sie einfach nichts mehr von früher wusste!
„Ahhh!“ Sophia keuchte erschrocken auf, eine Hand auf ihren Bauch, die andere auf ihre Stirn gepresst. Von Schmerzen überwältigt, dessen Ursache für sie genauso im Verborgenen lag wie ihre Erinnerungen, sackte sie auf ihre Knie. Ihr Körper brannte, als hätte man über ihren Kopf einen Krug kochendes Wasser geleert. So heiß! So schmerzhaft! Es verbrannte sie! Oh Gott, so heiß! Zwischen den unerträglichen Schmerzwellen, die sie nach Luft schnappen ließen, tauchte ein Bild in ihrem Kopf auf. 

Von Madleen … Sophia und Madleen standen im – Schnee? Madleen sah genauso aus wie heute, nur dass sie lediglich in einen hellblauen Krankenhauskittel gekleidet war. Hohe Berge waren um sie herum. Wo standen sie? Wann war das gewesen? Warum war Madleen halbnackt und stand trotzdem in der Kälte mitten in den Bergen?
Sophia versuchte das verschwommene Bild festzuhalten, mehr zu erkennen, doch das Ergebnis war nur noch stärkerer Schmerz, so dass sie aufgeben musste. Es ging einfach nicht.
Oh, Gott sei Dank! Der Schmerz ließ langsam nach. Sophia atmete  schnell und flach, stützte sich mit einer Hand an einer Hauswand ab und legte die andere stützend unter ihren Bauch.

Madleen betrachtete sie gelassen und machte keine Anstalten ihr aufzuhelfen.
Sophia erhob sich nur mühselig. Der Schmerz war weg, als hätte sie ihn sich nur eingebildet. Ihre Angst war jedoch so präsent wie nie zuvor, ebenso wie die befehlende Stimme in ihrem Kopf.
Flieh! Flieh!

Ja, es war mehr als ein Instinkt. Es war ein Befehl, der jede Faser und jeden Muskel ihres Körpers aufforderte davon zu laufen, und Sophie wusste nicht, wie lange sie sich diesen inneren, immer lauter und drängender werdenden Appell noch entgegenstellen konnte … oder es wollte.
„Ah, ich habe wohl bemerkt, dass du vergessen hast was, ah … Ich weiß nicht, wie ich … Ich muss nachdenken. Ich habe nicht erwartet, dass ich nicht in deinen Kopf eindringen kann, oder dass dich Schmerzen daran hindern könnten, dich zu erinnern. Wir werden uns wiedersehen, meine junge Freundin, wenn ich eine Lösung gefunden habe. Die einzige, die mir im Moment einfällt, behagt mir nicht, aber ich kann nicht mehr lange warten. Die Zeit rinnt mir durch meine Finger … Ich grüße dich.“

Sophia starrte entsetzt zu der Stelle, an der die Fremde eben noch gestanden hatte. Fort. Einfach verschwunden innerhalb eines Augenblinzeln. Das konnte doch nicht ... sie konnte doch nicht einfach von einer Sekunde zur nächsten weg sein?!
Die ersten Sonnenstrahlen erreichten in diesem Moment die Stelle, an der Madleen gestanden hatte, und erhellten den Bürgersteig.
„Ich beschützte dich, mein Schatz“, murmelte Sophia zu ihrem Kind und legte ihre Hände wieder auf ihren runden Bauch. Gefunden. Ich wurde gefunden, dachte sie verwirrt. Wie ein Programm spulte sich in ihrem Kopf der schon vertraute Befehl ab: Fliehen … Verstecken … Fliehen … Verstecken … darf nicht gefunden werden! Flieh! Flieh! Flieh!
Und vielleicht durch dieses `Mantra`, vielleicht aber auch trotz dessen und allein durch die Begegnung mit Madleen ausgelöst, wurden tief in ihrem Geist verborgene Erinnerungen freigeschaufelt. Kleinste Risse ihres zerstörten Gedächtnisses heilten, noch bevor Sophia begriff, was gerade geschah. Verborgenes, aus der Zeit vor dem Unfall, vor dem Tod ihrer Eltern. Fragmente, aber klar und erschreckend:

Schreie, entsetzliche Schreie unzähliger Kinder, gellten durch die Nacht. Der Gestank von Blut und Tod hing in der Luft. Sophia war verwundet, jeder Muskel brannte vor Anstrengung, doch sie zerrte die blonde, junge Frau, die viel schwerer verletzt war als sie selbst, unbeirrbar mit sich. Sie durften nicht rasten. „Stirb nicht. Halte durch!“, flehte sie die junge Frau an. Sie mussten auf das Dach. Hoffentlich war er noch nicht ohne sie fortgeflogen. Oh Gott, bitte.
Schneller, schneller. Sie kamen, oh Gott. Sie kamen immer näher. Schreie durchbrachen die Stille, die Luft war geschwängert von dem Geruch von Blut und Tod, und sie kamen immer näher. „Lass mich zurück. Du musst dich retten“, murmelte die verletzte, junge Frau in ihren Armen. „Nein! Wir schaffen das. Halte durch!“

Die Erinnerung brach ab und eine andere Szene tauchte auf, ein Ereignis, Jahre vor dem Geschehen, was sie eben gesehen hatte.

Ein junges Mädchen lag zusammengekrümmt in einem dunklen Raum auf einem nackten Steinboden. Nass, kalt, stinkend war es dort. Oh Gott. Eingesperrt. Ganz allein. So kalt … so kalt. Im Bunker. Nein, sie wollte hier raus! Sie hatten sie in den Bunker gesperrt! Jahre bevor der Tod die alten Mauern erobern würde, die Kinder stehlen und beinahe auch die blonde, junge Frau mit sich genommen hätte, war diesem Mädchen Unfassbares angetan worden. Sie hatte solche Angst, das Kind hatte so eine entsetzliche Angst. Allein, absolute Dunkelheit … Oh Gott. Soviel Traurigkeit, so einsam …

Sophia versuchte zu verstehen, was ihr beschädigtes Gehirn so urplötzlich an alten Erinnerungen ausgespuckt hatte, aber die Erinnerung brach abrupt ab. Aus Angst davor, dass sie wieder von Schmerzen gepeinigt werden würde, versuchte sie nicht weiter in ihrem Gedächtnis zu forschen. Angst, Wut und Traurigkeit überrollten sie wie ein Güterzug und hätten sie fast erneut in die Knie gezwungen. Sie war dieses Mädchen in dem Bunker gewesen und dieselbe Angst und Traurigkeit, die es, die sie, damals verspürt hatte, schnürte ihr jetzt die Kehle zu. Wer hatte ihr so etwas Grausames nur angetan? Und wieso?
Irritiert starrte Sophia auf die rundliche, münzgroße Narbe an ihrem linken Unterarm und strich mit dem Finger darüber. Die Narbe – sie tat weh wie eine frische Wunde.
„Du hast die gleichen Augen wie dein Vater“, hatte Madleen gesagt.
Sophia erinnerte sich nicht mehr daran, wie ihre Eltern ausgesehen hatten.
Madleens Kichern hallte in ihrem Kopf wieder. „Das ist nicht dein Name.“
Das ist nicht dein Name!


Montag, 18. August 2014

Der Pakt - Kapitel acht #Vampirroman

Hallo Freunde der Nacht!

Mit einem Tag Verspätung geht es weiter in der Welt Zwischen Göttern und Teufeln.
Heute taucht zum ersten Mal der Vampir Jeremias auf, der, so viel sei gleich verraten, eine wichtige Rolle in allen Bänden dieser Reihe spielt.

Er hat viele Eigenschaften des klassischen Helden. Mutig, stark, gut, loyal. Und sein Charakter hat seine eigene Tragik. Als Sklave dient er seinem Herrn Marcus und sehnt sich nach seiner verlorenen Freiheit. Einst war er ein Kreuzritter, ritt unter der Fahne des legendären Richard Löwenherzes und versuchte Jerusalem aus der Herrschaft der Muslime zu befreien.

Wie kommt aber ein christlicher Ritter zu dem jüdischen Namen Jeremias? Und wieso hat sich dieser stolze, gläubige Christ in einen Vampir verwandeln lassen und dafür in die Sklaverei begeben? Womit hat sich Marcus seine Loyalität verdient? Diese Antworten findet ihr nicht in diesem Kapitel, noch in dem Band "Der Pakt". Jeremias´ Geschichte habe ich eine eigene Novelle gewidmet. Überall erhältlich wo es E-Books gibt und als Taschenbuch auch auf Amazon.

Jeremias - Zwischen Göttern und Teufeln, Novelle:
Kurzbeschreibung:
Weit entfernt von seiner Heimat England, hat sich der ehemalige Kreuzritter Jeremias in Jerusalem als Mitglied der Stadtwache ein neues Leben aufgebaut. Doch alles was er errungen hat, droht in den Konflikten der drei großen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, zerstört zu werden. In dieser Zeit begegnet Jeremias dem mächtigen Vampir Marcus und wird vor die schwerste Entscheidung seines Lebens gestellt.



Quid pro quo: Alles hat seinen Preis, besonders die Unsterblichkeit!


Doch nun geht weiter mit Kapitel acht aus Der Pakt.


Bitte beachten: 

Kopieren und weiterverbreiten des Textes ist nicht gestattet! Danke für euer Verständnis.
Wer es nicht abwarten kann oder mich unterstützen möchte: Das komplette Taschenbuch gibt es hier bei Amazon: Amazon (Taschenbuch)  Und das E-Book ebenso hier: Amazon E-Book und auf allen anderen gängigen E-Book-Plattformen. 


Der Pakt – Zwischen Göttern und Teufeln, Band eins
Copyright: © 2013 Laya Talis
 
Kapitel acht
Jeremias
Die nächste Nacht
Jeremias' braune Schnürstiefel hinterließen schwache Abdrücke in dem feuchten, frisch gemähten Rasen, über den er gemächlich schritt. Während er sich der großen, sechseckigen Gartenlaube näherte, die von Efeu beinahe gänzlich bedeckt war, betrachtete er die polierten Steinfiguren, die seinen langen Weg vom Haus durch den Garten säumten. Die Skulpturen zeigten römische Götter und Göttinnen und waren annähernd menschengroß. Sie wirkten trotz ihrer weißen Farbe fast lebendig und erschufen dadurch eine unheimliche Atmosphäre in der sternenklaren Nacht. Mit Hingabe und größtem Können, hatte der Künstler diese Skulpturen erschaffen, die mitten in der Bewegung inne zu halten schienen und bei deren Anblick man trotz der physikalischen Unmöglichkeit darauf wartete, dass sie den begonnenen Bewegungsablauf vollendeten. Die Lorbeerkrone des Gottes Jupiter allein war schon ein Meisterwerk, mit den hunderten von fein herausgearbeiteten Blättchen. Jeremias bewunderte jedes Mal die vielen Kunstgegenstände, die sich im Besitz seines Herrn befanden. Der Mond war so gut wie voll und erhellte die Nacht mit seinem silbrig-weißem Licht, so dass das grüne Gras fast so grau wirkte, wie der Stein der Gartenlaube.

Jeremias hatte den etwa einen Hektar großen Garten fast ganz durchquert und nur noch wenige Meter trennten ihn von den ersten Säulen der steinernen Laube.
Er selbst hatte keine eigenen Kunstwerke. Keinen eigenen Garten, kein eigenes Haus. Nichts …
Sklaven hatten keinen Besitz, sie waren Besitz.

„Ich grüße Euch, mein Gebieter, Herrin Carda.“ Jeremias kniete vor dem runden Steintisch nieder. Direkt daneben, auf einer edel gepolsterten Liege, hatten es sich Marcus und Carda bequem gemacht. Die Laube war schon vor etwa zwanzig Jahren mit elektrischem Licht ausgestattet worden, und die Ketten mit den hunderten von kleinen Lämpchen, hatte man wie einen Kranz unterhalb des Dachrandes verlegt. Doch auch ohne diese Lichtquelle hätte Jeremias seinen Herrn und dessen Gemahlin problemlos erkennen können. Nicht nur wegen des hellen Mondscheins, sondern aufgrund seiner Fähigkeit als Vampir, auch im Dunkeln perfekt sehen zu können. Marcus lag seitlich auf dem einarmigen roten Diwan, während Carda vor ihm saß und ein aufgeschlagenes Buch auf ihrem Schoß ruhte. Sie hatte ihrem Gemahl offenbar vorgelesen, bis die Beiden ihn entdeckt und schweigend auf ihn gewartet hatten. Marcus' Hand streichelte sanft Cardas nackten Rücken, während er Jeremias nicht aus den Augen ließ.

„Ich grüße dich, Jeremias“, sagte Carda leise, legte sich ein weißes durchsichtiges Tuch, das neben ihr auf dem Diwan gelegen hatte, über den Kopf und ihre Schultern und klappte das Buch zu. Mit einer eleganten Bewegung warf sie es auf den Tisch und Jeremias las beiläufig den Titel des Werkes.
Ilias. Marcus mochte noch immer die Geschichten von Homer? Hatte er nach zweitausend Jahren nicht langsam genug davon? Jeremias konnte nicht verstehen, was seinen Herrn daran so faszinierte. Selbst die Geschichte von Odysseus Irrfahrt hatte noch nie sein Gefallen gefunden.
Jeremias hatte Carda nur kurz zugenickt und war danach darauf bedacht, sie nicht anzusehen. Marcus mochte es nicht, wenn jemand sein Weib anstarrte und Jeremias wäre nicht Jahrhunderte alt geworden, wenn er die Befindlichkeiten und Eigenarten seines Herrn nicht kennen und sich entsprechend verhalten würde.

Marcus war kein Vampir, der aus einer perversen Lust heraus strafte und quälte, wie es Antonius tat, aber er war auch kein Mann, der nicht wegen seiner Kaltblütigkeit gefürchtet gewesen wäre. Er forderte bedingungslosen Gehorsam und verzieh erst recht keinem Sklaven ungestraft die kleinste Verfehlung.
„Ich grüße dich“, sagte Marcus in seinem gewohnt leisen und monotonen Tonfall. „Steh auf.“
„Ich danke Euch, Herr.“ Jeremias erhob sich, hielt den Blick aber weiterhin auf seine Füße gerichtet.
„Sprich!“ Marcus setzte sich auf und gab Carda einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe.
„Herrin Alessina ist hier. Sie überbringt eine Nachricht des Meisters. Sie sagt, der Meister wünscht, dass Ihr ihn in seiner Burg in Schweden aufsucht.“ Jeremias schlug mit seiner Hand nach einer Mücke, die es sich auf seinem nackten Arm bequem gemacht hatte. Diese widerlichen Parasiten waren lästig. Er leckte seinen Daumen an und wischte den kleinen Blutfleck auf seiner Haut fort. Das einzige, was von der Stechmücke übrig geblieben war.
„Ist Alessina noch in meinem Haus?“, fragte Marcus.
„Ich habe sie lange nicht gesehen.“ Carda wandte sich Marcus zu und ergriff bittend seine Hand. „Ich möchte sie gern treffen, wenn Ihr es mir gestattet.“

Carda und Alessina waren fast gleich alt und hatten beide etwa fünfzig Jahre Seite an Seite als Sklavinnen der Vampirin Helena gedient, die sie zu Unsterblichen gemacht hatte. Alessina besuchte Carda so oft es ihr möglich war, doch eigentlich nur dann, wenn Marcus sich nicht bei Carda aufhielt. Die kleine, blonde Vampirin war ein Feigling und ging Marcus am liebsten aus dem Weg. Doch Alessina war auch ein Überlebenskünstler und hatte es geschafft, trotz ihres zurückhaltenden und ängstlichen Wesens, in der Hierarchie der Vampire hoch aufzusteigen. Dies war besonders bemerkenswert, da es, um in der Welt der Verdammten an Macht zu gelangen, notwendig war, körperlich stark und auch gefürchtet zu sein. Jeremias zweifelte, ob es irgendwen gab, der vor Alessina Angst hatte, und mit ihren über 300 Jahren, war sie auch nicht herausragend stark. Trotz ihrer Unzulänglichkeiten hatte der Meister sie in seinen Zirkel aufgenommen und in den Rang einer Fürstin erhoben, obwohl sie über kein eigenes Territorium herrschte. Sie war die Botin des Königs und es war die Angst vor dem König, die sie vor Repressalien durch andere Vampire schützte. Meistens zumindest ließen sie sie in Ruhe.

„Herrin Alessina hat mich ebenfalls beauftragt Euch zu fragen, ob sie Eure Gemahlin persönlich begrüßen darf, Herr. Daher habe ich sie noch nicht gebeten wieder zu gehen. Sie wartet in Eurer Eingangshalle auf Eure Erlaubnis.“ Jeremias konnte nur hoffen, dass Marcus nicht verärgert war, dass er Alessina nicht sofort weggeschickt hatte. Auch wenn er seinem Herrn seit beinahe neunhundert Jahren diente und ihn vermutlich so gut kannte, wie niemand sonst, war es schwer einzuschätzen, was ihn erzürnen könnte. Nicht zuletzt, da der alte Vampir sehr launisch war.

„Ich breche morgen Nacht nach Schweden auf. Bereite alles für meine Abreise vor, Jeremias“, befahl Marcus und stand auf.
„Ja, Herr.“
„Schon morgen wollt Ihr zum Meister?“, hauchte Carda, sprang auf und schlang ihre Arme um Marcus´ Hals. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, wobei ihr Tuch von ihrem Kopf rutschte, das Marcus geschickt auffing. Er bedeckte Carda behutsam wieder und drückte seine Lippen lange auf ihre Stirn. In diesem Tun lag Zuneigung, aber auch eine Selbstverständlichkeit, die ausdrückte, dass er in ihrer Beziehung über ihr stand. Er war weit davon entfernt, in ihr eine gleichrangige Partnerin zu sehen.
Carda hob ihren Kopf wieder und schaute ihn treu und ergeben an. „Kommt Ihr bald- ich meine … Werdet Ihr lange fortbleiben?“
Marcus fuhr mit seinem Daumen liebevoll über ihre vollen Lippen und küsste sie dann zärtlich. „Das weiß ich noch nicht.“
„Oh!“ Ihre traurige Stimme verleitete Jeremias zu ihr zu schauen. Carda sah sehnsüchtig zu Marcus auf und drückte sich eng an ihn. Ihr weißes Kleid wurde von einer Brise erfasst und der Stoff aufgebauscht, so dass Jeremias einen Blick auf ihre makellosen, schlanken Beine erhaschte. Zum Teufel, Carda war einfach wunderschön.

Eilig drehte Jeremias sein Gesicht zur Seite und konzentrierte sich auf eine der roten Begonien, die in steinernen Kübeln neben den sechs Säulen der Laube auf dem Boden standen und versuchte das Bild von Cardas hinreißenden Schenkeln aus seinem Kopf zu bekommen. Wenn Marcus ihn dabei erwischte, wie er die schönen Beine seines Weibes betrachtete, ja sogar nur an sie dachte, könnte er sich gleich in die Sonne legen.
„Ich hoffe, Ihr kommt bald zurück“, murmelte Carda und küsste Marcus flüchtig auf den Mund.
„Ich komme bei Tagesanbruch in dein Gemach. Erwarte mich dort“, flüsterte Marcus ihr ins Ohr, löste sich von ihr und machte schon die ersten Schritte zurück zum Haus.
Jeremias sah ihm nach und entdeckte sogleich die in weißen Kleidern gehüllten Frauen, die über den Rasen liefen und sich der Laube näherten. Es waren zwei von Marcus´ Sklavinnen. Jekaterina und Darja. Marcus hatte sie vermutlich durch die bloße Kraft seiner Gedanken gerufen, damit Carda nicht allein zurückblieb.
Marcus war, wie jeder freie Vampir, in der Lage mit seinen eigenen Sklaven telepathisch zu kommunizieren, solange sie sich nicht mehr als einige Kilometer von ihm entfernt aufhielten. Auf gleichem Wege konnten seine Vampire ihm jedoch nur antworten, wenn er seinen Geist für sie öffnete und das hatte Marcus, soweit Jeremias wusste, noch nie getan. Der erste Vampir ließ niemanden in seinen Kopf eindringen.

„Marcus“, rief Carda ihm nach. „Alessina. Darf ich sie sehen? Bitte!“
Marcus schritt weiter und machte eine ungeduldig wirkende Geste mit seiner Hand. „Ja, aber sie soll zeitig mein Haus verlassen. Am Tage will ich sie hier nicht mehr sehen.“
„Gewiss. Ich danke Euch.“ Carda seufzte und setzte sich wieder auf die Liege.
Jekaterina und Darja knieten nieder, als Marcus sie passierte und gingen erst weiter, als er außer Sichtweite war. Sie knicksten auch tief vor Carda, die die Frauen nur kurz anschaute und mit einer leichten Kopfbewegung hieß wieder aufzustehen. Schon war ihre Konzentration wieder auf Jeremias gerichtet, der nur noch darauf wartete, entlassen zu werden.

„Ich werde Alessina zu dir schicken, wenn du es wünscht, Herrin“, sagte Jeremias, der Jekaterina und Darja verstohlen beobachtete, wie sie sich an den Rand der Laube stellten und ihre Hände über ihren Schoß falteten. Ihre Köpfe hatten sie gesenkt und ihr blondes Haar verdeckte größtenteils ihre schönen Gesichter. Wie Carda trugen sie weiße, bodenlange Kleider, die aussahen wie Kleidungsstücke aus dem antiken Rom. Um ihre Oberarme waren goldene Bänder gewunden und goldene Kordeln waren um ihre Taillen gebunden. Sie trugen goldene, gleiche Halsketten mit einem Münzanhänger. Sie waren hübsche Frauen. Wie es alle Frauen waren, die sich Marcus in sein Bett holte. Jekaterina stach dennoch unter ihnen hervor, ebenso wie Carda. Diese beiden Frauen waren von einer besonders anmutigen Schönheit.

„Tu das. Alessina soll mich hier treffen. Du kannst gehen“, sagte Carda.
„Danke, Herrin. Darja, Jekaterina. Ich wünsche euch noch eine angenehme Nacht.“
Die Sklavinnen sahen lächelnd zu ihm und Jekaterina zwinkerte ihm sogar zu. „Wir dir auch.“
Jeremias beugte noch einmal kurz ein Knie und drehte sich schon um, um zum Haus zurückzukehren, als Carda ihn überraschend aufhielt. „Jeremias, ähm. Warte noch!“
„Herrin?“ Er wandte sich wieder zu ihr um, ging aber vorsorglich einige Schritte zurück. Jetzt, wo Marcus nicht mehr anwesend war, sollte er ausreichend Abstand zu ihr halten. Es gab wohl keinen anderen Vampir, der eifersüchtiger war als sein Herr.
„Ich- ich … ich möchte, dass du noch etwas für mich tust.“ Carda klang nervös. Sie holte tief Luft und Jeremias erwartete, dass sie weitersprechen würde, doch sie schwieg.

Er drehte an dem silbernen, schlichten Ring an seinem Finger und versuchte seine Augen genau auf diesem Schmuckstück zu lassen und seine Ungeduld zu verbergen. „Welchen Befehl hast du für mich, Herrin?“, fragte er schließlich doch, um sie endlich zum Sprechen zu bewegen und danach verschwinden zu können.
„Keinen Befehl … es ist mehr … eine Bitte“, flüsterte sie jetzt so leise, dass Jekaterina und Darja sie vermutlich nicht hören konnten.
„Du bist die Gemahlin meines Herrn. Wenn du mir befiehlst, so gehorche ich dir.“ Jeremias hasste es ein Sklave zu sein.
Carda seufzte und zu seinem Ärger stand sie auf und kam auf ihn zu.
Eilig wich er zurück. „Herrin, bitte.“
Sie verstand sofort, was er wollte, und blieb stehen. „Oh … sicher.“
Wieder hörte er, wie sie schwer atmete. Das war aber auch das einzige, was er von ihr hörte. Diese Frau zerrte an seinen Nerven. „Wenn du erlaubst, so hole ich jetzt die Herrin Alessina.“
„Ich will, dass du Marcus überredest, dass er mich nach Spanien lässt“, sagte Carda und sie sprach so hastig, dass sich ihre Worte fast überschlugen.
Verblüfft vergaß er alle seine Vorsätze und starrte ihr direkt in ihre dunkelgrünen Augen, die verführerisch von ihren langen, blonden Wimpern eingerahmt wurden. „Ich soll was?“, stieß er verwirrt aus.

„Ich- ich habe ihn bereits gefragt. Ich würde auch allein gehen, doch er wurde sofort wütend und verbot mir, ihn überhaupt noch mal darauf anzusprechen … Aber ich will nach Madrid. Ich will nach Hause, Jeremias“, flüsterte Carda verzweifelt.
„Du hast ihn gefragt, ob er dich ohne ihn nach Spanien lässt?“ Er konnte nicht glauben, dass Carda Marcus tatsächlich eine derartige Bitte vorgetragen hatte. Kannte sie Marcus so wenig, dass es ihr nicht klar gewesen war, dass die Äußerung eines solchen Wunsches nicht nur aussichtslos war, sondern ihn zwangsläufig verärgern würde?
„Ja. Zuerst bat ich ihn, mich zu begleiten, doch als er dies ablehnte, fragte ich, ob ich ohne ihn … er hat mir nicht einmal richtig zugehört.“
„Und du denkst, er würde mir zuhören?“ Zum Teufel, was ritt diese Frau denn da?
„Er schätzt deine Meinung.“
Jeremias schnaufte. „Ja, das tut er, Herrin, aber er schätzt es nicht, wenn ich ihm meine Meinung kundtue, ohne dass er mich dazu aufgefordert hat.“ Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Und es gibt wohl kaum etwas, was er weniger zu schätzen weiß, als wenn ein anderer Mann ihm Vorschläge macht, was er seiner Gemahlin zu gestatten hätte und was nicht. Und besonders schätzt er es nicht, wenn ihm sein Sklave meint sagen zu dürfen, was er tun sollte. Erspare mir den Umweg und stich mir gleich einen Dolch in die Brust.“
Carda schlug ihre schlanken Hände vor ihr Gesicht und Jeremias sah bestürzt, wie ihre Schultern zu beben begannen. Sie weinte. Verfluchter Mist. Er hatte sie zum Weinen gebracht.
„Herrin, vergib mir. Ich wollte doch nicht … Ich-“ Ach zum Teufel! Er wusste nicht, was er sagen sollte und konnte nur hoffen, dass Marcus diese Szene nicht bemerkte.

„Ich bin seit über einhundert Jahren in diesem kalten, mir noch immer fremden Land. Eingesperrt in dieses Haus und konnte mein Madrid nicht besuchen. Es stört mich nicht, so lange Marcus hier ist, aber er lässt mich oft allein … Ich- ich will in meine Heimat, Jeremias. Kannst du das nicht verstehen? Wieso hilfst du mir nicht?“ Sie klang schrecklich verzweifelt.
„Doch, Herrin, ich verstehe deinen Kummer. Aber es liegt nicht in meiner Macht dir zu helfen. Hadere nicht mit deinem Schicksal. Du kannst es nicht mehr ändern. Füge dich deinem Herrn und Gemahl, wie … na ja, wie du es immer tust. Es ist zu spät, deine Meinung zu ändern.“ Jeremias zuckte mit den Schultern und schaute zu Jekaterina und Darja. Hatten sie sie gehört? Möglich. Er konnte für Carda nur hoffen, dass die beiden Frauen Marcus von dieser Unterhaltung nichts verrieten.

Carda funkelte ihn grimmig an. Sie hatte geweint, ja. Doch weder in ihren Augen noch auf ihren Wangen waren Tränen zu sehen. Vampire konnten keine Tränen vergießen. „Meine Meinung ändern? Du tust mir Unrecht, Jeremias, wenn du glaubst, dass ich es beklage Marcus´ Gemahlin geworden zu sein. Ich liebe ihn viel zu sehr, als dass ich das bereuen könnte. Aber er ist immer wieder für lange Zeit fort. Wenn ich allein hierbleiben muss, vermisse ich nicht nur ihn, sondern umso mehr auch meine Heimat.“
„Herrin, du kanntest ihn. Du hast gewusst, dass er dich isolieren würde und du nicht in Madrid würdest bleiben können“, hielt ihr Jeremias vor. „Dennoch hast du ihn aus freien Stücken geheiratet.“

„Ja, ich habe gewusst, was Marcus von mir verlangen wird. Ich wusste, dass er mich in eines seiner Heime bringen würde, aber dass er direkt vor meinen Augen hurt, damit rechnete ich damals nicht! Er zollt mir nicht die geringste Achtung, dabei versuche ich all seinen Ansprüchen gerecht zu werden. Ahh, es bricht mir mein Herz. Jedes Mal bricht es mir das Herz, wenn er statt meines Betts, dass ihre aufsucht! Und dann zwingt er mich auch noch, mit diesen Frauen zusammen zu leben und lässt mich mit ihnen allein! Mit seinen Huren.“ Sie schaute traurig und argwöhnisch zu Jekaterina und Darja. Jeremias rechnete es ihr hoch an, dass sie ihre Macht nicht ausnutzte, um Jekaterina und die anderen Sklavinnen aus Eifersucht zu quälen, wenn Marcus nicht hier war. Es zeichnete Cardas Wesen aus, dass sie ihren Schmerz nicht an anderen ausließ. Sie war eine sanfte und gehorsame Frau und auch die Jahrhunderte, die sie bereits verlebt hatte, hatten ihr weiches Herz nicht hart werden lassen. Über Marcus' Untreue mit ihr zu sprechen, gefiel Jeremias aber genauso wenig wie darüber, dass er auf seinen Herrn einwirken sollte, damit Carda nach Madrid könnte. Wieso musste sich Carda ausgerechnet ihn aussuchen, um ihr Leid zu klagen? Er konnte ihr in keiner Weise helfen. Aber irgendwie wollte er ihr Trost spenden und versuchte daher Marcus' Verhalten zu erklären.
„Mein Herr tut nichts willentlich, um dein Herz zu betrüben, Herrin. Bedenke bitte, dass er sich noch immer als ein Römer fühlt, mit all deren Ansichten von Ehre, Pflichten aber auch Rechten. Zu seiner Zeit als Mensch war es üblich, dass der Dominus seine Sklavinnen – aufsuchte. Es bedeutet nicht, dass er dich zurückweist, oder es ein Zeichen von mangelnder Achtung wäre.“

Das war wirklich ein kläglicher Versuch sie aufzumuntern, doch etwas Besseres fiel Jeremias nicht ein und zudem war es die Wahrheit. Marcus betrog sie nicht aus Grausamkeit. Er konnte Cardas Unwillen einfach nicht verstehen. Für ihn war es völlig selbstverständlich, was er sich herausnahm, ihr aber verwehren, sie für eine gleiche Weise von Untreue mit Sicherheit sogar töten würde. Sein Handeln war kalt, aber nicht bösartig. Jeremias teilte diese Moralvorstellung nicht. Er lebte als Mensch allerdings auch in einer ganz anderen Zeit als Marcus.
„Ein Römer. Ja, ja, ich weiß, wer er war und ist. Deswegen tut es mir dennoch weh, dass er mit ihnen schläft, Jeremias. Wenn ich hier allein bin, muss ich immer daran denken, wie er seine Zeit mit Jekaterina und den anderen verbracht hat. Könnte ich diesen Erinnerungen doch nur einige Wochen entfliehen. In meinem Madrid könnte ich meine Gedanken in andere Richtungen lenken. Es ist doch meine Heimat. Ich- ich will nach Hause.“
Jeremias fuhr sich mit gespreizten Fingern durch sein hellbraunes kurzes Haar. Er dachte über ihre Worte nach und verglich ihr Schicksal mit dem von Marcus´ Sklaven. Es unterschied sich nicht sehr, denn obwohl sie eine freie Vampirin war, war sie genauso unfrei. Carda war nicht mehr als eine weitere, wertvolle Skulptur in Marcus' Besitz, über der er verfügte, wie er es wollte.
Wie auch er selbst nicht mehr für seinen Herrn war.
Wie sie alle.

Sein Blick ging zu den im Garten stehenden Steinfiguren. Eigentlich könnten sie sich dazustellen.
Aber nein. Jeremias wollte nicht undankbar sein. Marcus hatte ihm die Unsterblichkeit geschenkt. Es war ein Handel gewesen. Er hatte ewiges Leben bekommen und sich dafür der Knechtschaft unterworfen. Und obwohl er seit Jahrhunderten sehnsüchtig darauf wartete freigegeben zu werden, hatte er nicht die Hoffnung verloren, irgendwann dieses Ziel zu erreichen. Er hatte Marcus immer treu gedient und seine Freiheit verdient.
„Ich wünsche dir, dass du nach Madrid gehen könntest, wenn es denn dein Herz erleichtert, Herrin“, flüsterte er schließlich und seine Anteilnahme war aufrichtig.
„Wirst du doch mit Marcus sprechen?“ Ihre Stimme war wieder sanft und leise geworden und die Hoffnung die darin mitschwang, betrauerte Jeremias, da er sie zerschlagen musste.
„Herrin … Ich kann dir nicht helfen. Der Herr würde uns beide strafen, wenn ich ihn ersuchte, dich gehen zu lassen.“

Carda warf sich auf die Liege und er hörte sie laut schluchzen. Ihre schlanken Arme hatte sie über ihren Hinterkopf verschränkt, als wolle sie sich dahinter verstecken. Jekaterina und Darja rührten sich nicht. Ohne Befehl durften sie sich ihr nicht nähern, doch ob sie ihr hätten Trost spenden können, bezweifelte Jeremias ohnehin. Sie waren schließlich ein Teil ihres Leides.
„Und morgen verlässt Marcus mich schon wieder und ich bin erneut allein. Geh! Geh und schicke Alessina zu mir.“
„Ja, Herrin.“ Er verbeugte sich und mit übermenschlicher Geschwindigkeit rannte er zurück zum Haus. Dieses Mal gönnte er sich nicht die Zeit die Kunstwerke des Gartens zu bestaunen, die ein Sklave niemals sein Eigen nennen würde.